Johan Szabo


Allgemein / 28. Okt 2010  


Das Tennis-Training ist zu Ende. Ein drahtiger Coach streift sich verschmitzt über seinen fast kahlen Schädel. „Oha, schlecht rasiert heute. Wollte ich doch noch vor dem Training machen!“ Dieser Schädel gehört zu Johan Szabo, seit kurzem Trainer beim TC Rot Weiss Wahlstedt und auch beim SV Henstedt Ulzburg. Und der 29-jährige Schwede kann auf eine bewegte sportliche Vergangenheit zurückblicken.

Sein Großvater war Ungar, sein Vater wanderte mit 24 Jahren nach Schweden aus. Er war Sportlehrer und so war es nicht verwunderlich, dass der kleine Johan sich intensiv dieser Beschäftigung widmete. „Ich hatte eine Sprossenwand in meinem Zimmer. Und dort habe ich immer Hindernissläufe veranstaltet.“ Mit vier Jahren durfte er sich dann beim Turnen austoben. Er lebte in der Nähe von Stockholm. „Als mein Bruder geboren wurde, zogen wir nach Djursholm. Das liegt ganz in der Nähe. Nur sechs Häuser im Kreis angeordnet.“ Und 50 Meter von einem Fußball- und Tennisplatz entfernt. Da ihn Turnen nicht auslastete, begann er, inzwischen zehn Jahre alt, auch Fußball und Tennis zu spielen. Sein Wochenpensum: Dreimal Fußball, viermal Turnen, dreimal Tennis. Das war denn auch den sportbegeisterten Eltern zuviel. Johan: „Ich musste einen Sport canceln.“ So musste Turnen dran glauben. Auch Johans vier Jahre jüngerer Bruder Martin fand Interesse am Tennis. „Der kannte nur einen Schlag: Topspin. Den fand er gut“, erinnert sich Johan und trainierte fortan seinen Bruder, der später zu den zehn besten 12-Jährigen in Schweden gehörte.

Johan selbst nahm als 17-Jähriger an einem fünf Kilometer langen Waldlauf teil. 400 Schüler waren dabei. Und Johan gewann. Mit zwei Minuten Vorsprung. „Du musst Leichtathletik machen!“, wurde ihm angeraten. Warum nicht, dachte sich Johan. Aber reizen würde ihn auch der Stabhochsprung. Sergej Bubka hatte ihn schon immer fasziniert. Oder doch die 3.000 Meter? Johan wollte alles. So startete er bei regionalen Meisterschaften in 18 Disziplinen an drei Tagen, kam dabei 13 Mal unter die ersten Drei. Da gab es nur eines: Johan musste 10-Kämpfer werden. Er legte eine atemberaubende Entwicklung hin. 2001 war er zweitbester Schwede im Zehnkampf und wurde ein Jahr später schwedischer U 23 Meister über 400 Meter Hürden. Doch auch diese Vielfalt befriedigte das Multitalent nicht. Als 2002 der Finnische Leichtathletikverband alle schwedischen Zehnkämpfer anschrieb, ob sie nicht bei den 20-Kampf Weltmeisterschaften teilnehmen wollten, lachten alle nur und winkten ab – bis auf einen: Johan lachte auch, aber vor Freude. Klar wolle er mitmachen. Ganze zwei Monate blieben ihm Zeit, sich vorzubereiten. Dann war es soweit. Im „Paovo Nurmi-Stadion“ zu Turku hatten sich die weltbesten Athleten versammelt. Dass die WM in Finnland stattfand, war nicht ungewöhnlich. Dort ist der Ultramehrkampf, so die offizielle Bezeichnung, sehr verbreitet. In den letzten 25 Jahren kamen die Weltmeister elfmal aus Suomi. Schon der erste Tag war geradezu mörderisch: 100 Meter, Weitsprung, 200 Meter Hürden, Kugelstoßen, 5.000 Meter, 800 Meter, Hochsprung, 400 Meter, Hammerwurf und zum Abschluss 3.000 Meter Hindernis. Am zweiten Tag folgten 110 Meter Hürden, Diskuswurf, 200 Meter, Stabhochsprung, 3.000 Meter, 400 Meter Hürden, Speerwurf, 1.500 Meter, Dreisprung, 10.000 Meter. Johan erinnert sich: „Da war ein Amerikaner am Start. Kip Janvrin. Der hatte 8.500 Punkte im Zehnkampf stehen und wollte unbedingt den Weltrekord im Zwanzigkampf erreichen. Weil er wusste, dass ich ein guter Läufer bin, fragte er mich, ob ich für ihn den Pacemaker machen wollte. Klar hab ich das gemacht!“ Johan hielt sich gut, wurde immer Zweiter bis Vierter in jeder Disziplin. Janvrin gewann zehn Einzeldisziplinen. Johan, der Probleme mit seinem linken Sprungfuß bekam, änderte kurzum den Anlauf: „Im Hochsprung bin ich mit dem rechten Bein abgesprungen, um meinen linken Fuß zu schonen. Hab immerhin 1,73 Meter geschafft.“ Auch im abschließenden 10.000 Meter Rennen gab es ein Handicap: „Das begann um 21:00 Uhr und wir sind praktisch im Dunkeln gelaufen. Beleuchtet war nur die 100 Meter Bahn auf der Zielgerade.“ Letztendlich wurde Johan Vize-Weltmeister hinter dem Amerikaner, der seinen Weltrekord – auch dank Johan – schaffte. Und der WR hat auch heute noch Bestand. Was Johan erst später herausbekam: Er selbst hatte den U 23 Weltrekord um 300 Punkte verbessert.
2003 warf ihn ein Kreuzbandriss kurzzeitig aus der Bahn. Inzwischen studierte er an der Stockholmer Technischen Hochschule Hoch- und Tiefbau und verdiente sich als Tennis-Trainer seinen Lebensunterhalt. Aber auch im Mehrkampf gab er sein Wissen weiter. So trainierte er eine Siebenkämpferin, die 35. bei den schwedischen Meisterschaften (U16) geworden war. Im folgenden Jahr wurde sie, nunmehr unter seiner Regie, schwedische Meisterin.

2006 fanden die 20-Kampf-Europameisterschaften in niedersächsischen Scheeßel statt. Johan, inzwischen zehn Kilo schwerer, als bei seinem WM-Debüt, konnte sich aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht gut vorbereiten. „Ich fahr einfach mal hin. Mal sehen, was geht“, meinte die Frohnatur. Zwar hatte er sich in den Wurfdisziplinen erheblich verbessert (Hammer um 8 m, Diskus um 6 m), doch die Muskelpakete forderten auch ihren Tribut: „Am Morgen des zweiten Tages konnte ich kaum aufstehen, musste mich an den Gardinen hochziehen“, erzählt Johan. Doch 20-Kämpfer sind hart im Nehmen, was auch folgendes Bespiel beweist: „Beim Stabhochsprung brach mir mein Stab, ich fiel in den Einstichkasten und hatte mir den ganzen Arm aufgeschrammt. Noch während ich vom Arzt verbunden wurde, rief man mich schon zum 3.000 Meter Lauf auf. Auf dem Weg dahin wurde ich zuende verbunden und konnte dann noch rechtzeitig starten.“ Seine 20-Kampf-Bestmarke verpasste er nur um 30 Punkte und wurde Zweiter hinter dem Deutschen Adrian Schürmann.
2007 stellte er zunächst noch viele persönliche Bestmarken auf, bevor er im Winter einen Bandscheibenvorfall bekam. Inzwischen war er Dipl. Ing. im Hoch- und Tiefbau und Cheftrainer der Stockholmer Tennis-Akademie, wo er die besten Zwölf bis Achtzehnjährigen Schwedens trainierte. Am medizinischen Institut studierte er auch ein halbes Jahr Physiologie.
Doch Johan wollte international trainieren, suchte im Internet nach geeigneten Vereinen, schrieb drei an. Unter anderem den TC RW Wahlstedt. Zunächst hörte er einen Monat gar nichts. „O.K., denn mach ich eben noch eine Ausbildung zum Physiotherapeuten“, überlegte sich Johan. Doch da kam eine Mail von Joachim Jakstat aus Wahlstedt. Schnell wurde man sich einig. Johan fühlt sich wohl: „Ich bin sehr nett aufgenommen worden. Und wir haben hier sehr gute Talente. Da macht das Training Spaß!“ Im Auftrag der Tennis Schule Wahlstedt ist er im SV Henstedt-Ulzburg verantwortlich für 100 Jugendliche. In enger Zusammenarbeit mit den Trainern Vladimir Lys und Lydia Steinbach will auch dort den Tennissport zu neuen Höhenflügen verhelfen. Von seiner Liebe zur Leichtathletik kann er dennoch nicht ganz lassen: „Ich habe letztens beim „Happy Run“ in Wahlstedt zugeguckt. Da lauf ich nächstes Jahr auf jeden Fall auch für den TC mit!“ Jörn Boller


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